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Gesellschaften, resilient wie Gummibärchen?

Der Klimawandel als zivilisatorische Bedrohung

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Für die Zeitschrift ad hoc international’ entstand im April 2008 der folgende kurze Meinungsartikel.
Die gesamte 3. Ausgabe: Die Verhandlungen gehen weiter… - Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt und des Klimas findet sich noch im Web bzw. als pdf zum Herunterladen.

Die Europäische Union hat sich bereits 1996 zum Ziel gesetzt, den Anstieg der globalen Erwärmung auf 2 °C über dem vorindustriellen Niveau des 19. Jahrhunderts zu begrenzen. Eine Marke, die Klimafolgen erwarten ließ, die für Ökosysteme und menschliche Gesellschaften gerade noch verkraftbar erschien und die Emissionsverminderungen erforderte, die als erreichbar gelten konnten.

Nach der Einschätzung des Weltklimarats (IPCC) ist inzwischen das 2 °C-Ziel nur dann noch zu schaffen, wenn bis 2050 die globalen CO2-Emissionen gegenüber dem Stand des Jahres 2000 um bis zu 85 % reduziert werden. Derzeit deutet allerdings wenig darauf hin, dass dies gelingen könnte. Der Bericht des Weltklimarats berücksichtigt nicht alle verstärkenden Rückkopplungsprozesse und die tatsächlichen Emissionen sind seit 2000 stärker gestiegen als in den Szenarien des Weltklimarats angenommen. Gleichzeitig werden bei den Symptomen des Klimawandels wie etwa beim Rückgang der Vereisung im nördlichen Polarmeer unerwartete Beschleunigungen festgestellt. James Hansen, Leiter der Klimaforschung bei der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA und einer der führenden Klimaforscher weltweit, aber auch andere fordern deshalb noch drastischere Reduktionsziele.

Damit nicht genug, sieht sich die Menschheit auch neuen Knappheiten in der Verfügbarkeit von Rohstoffen gegenüber. Die Internationale Energieagentur erwartet, dass ab 2012 die Erdölförderung nicht mehr mit dem wachsenden Bedarf schritthalten kann. Die Fischbestände sind weltweit bedroht. Selbst bei der landwirtschaftlichen Produktion von Lebensmitteln zeigen sich Engpässe und die Weltgetreidevorräte nähern sich historischen Tiefstständen.

Diese und weitere Trends zeigen, dass die Menschheit die ökologische Tragfähigkeit des Planeten bereits überschritten hat. Sie drohen, durch den Klimawandel noch einmal verschärft zu werden. Insgesamt ergibt sich das Bild einer Welt, die aus dem Überfluss in einen Zustand der Knappheit eingetreten ist. Damit verschiebt sich in vielen Ländern eine zentrale Konstante der gesellschaftlichen Entwicklung: Wo bisher durch wirtschaftliches Wachstum allen eine Verbesserung ihrer Lebenssituation möglich oder in Aussicht gestellt war, werden sich Politik und Gesellschaft der Frage zuwenden müssen, wie Wohlstandseinbußen gerecht verteilt werden können.

Wenn die Entwicklungsfortschritte von Jahrzehnten in kürzester Zeit wieder verloren gehen, ja, wenn das ohnehin schale Entwicklungsversprechen gar nicht mehr gilt, dann drohen Staaten, die bereits heute fragil und konfliktanfällig sind, von den Auswirkungen des Klimawandels überwältigt zu werden. Das Potenzial für gesellschaftliche Verwerfungen, für Gewalt und internationale Konflikte ist schier unerschöpflich.

Viele schrecken noch davor zurück, die drohenden Folgen des Klimawandels auch plakativ als das zu benennen, was sie tatsächlich sind. Die Optimisten reden von einer Dritten Industriellen Revolution. Ungeduldige Aktivisten in den angelsächsischen Ländern rufen nach einer Mobilisierung von Wirtschaft und Gesellschaft wie zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs. Beide Bilder sind wenig dazu angetan, historisch einigermaßen Beschlagenen besondere Zuversicht einzuflößen.
Doch im Kern ist der Klimawandel noch mehr: eine systemische, ja eine zivilisatorische Bedrohung und eine zutiefst verstörende ethische Infragestellung des Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells, das diese Krisenkonstellation verursacht hat und sich bisher nicht in der Lage zeigt, angemessen darauf zu reagieren.

Ist es einfach nur kaum zu begründender Optimismus oder ist es Verdrängung anzunehmen, dass die Wucht der Veränderungen nur besonders fragile Gesellschaften, wie die Nomaden und die Ackerbauern in Darfur, in ihrer Problemlösungsfähigkeit überfordern könnte?

Wie sollte eine Gesellschaft sich unter diesen Umständen sinnvollerweise verstehen? Wie sich neu gestalten? Unter den Umständen des Klimawandels setzen optimistische Visionen über gesellschaftliche Entwicklung, Wirtschaftswachstum und Wohlstand nicht nur drastische Treibhausgasvermeidung voraus sondern auch ein hohes Maß an gesellschaftlicher Resilienz.
Resilienz steht für die Fähigkeit, auch unter widrigen Umständen funktionieren und sich weiterentwickeln zu können. Sinnlich erfahrbar wird dies in der empirischen Werkstoffkunde von Gummibärchen: Die muss man ganz schön drücken, bevor sie die Haltung verlieren. Sie nehmen die Energie der externen Schocks durch elastische, also reversible, Anpassung auf, ohne dauerhaft verformt zu werden.

Was heißt das übertragen auf menschliche Gesellschaften? Zunächst, dass Resilienz Werteentscheidungen beinhaltet. Wegen welcher Funktionen ist der Ausgangszustand, der durch Klimawandel gestörten Alternative vorzuziehen? Welche Funktionen einer Gesellschaft sollen überhaupt erhalten bleiben? Der Schutz menschlichen Lebens, elementare Menschenrechte, Gerechtigkeit, Freiheit? Wie wenig dies nur scheinbar und wie viel dies doch tatsächlich bedeutet, zeigt sich bereits daran, dass schon unter heutigen Bedingungen großen Teilen der Menschheit diese Rechte vorenthalten werden. Die Folgen des Klimawandels treffen vor allem die Armen und besonders Verletzlichen, die gleichzeitig über die geringsten Möglichkeiten verfügen, sich anzupassen oder zu schützen. Die Resilienz von Empathie und Solidarität zu stärken, könnte zu einer der schwersten Aufgaben werden.

Gesellschaftliche Resilienz lässt sich auch umschreiben als die Fähigkeit, mit einer großen Spanne unliebsamer Überraschungen zurecht kommen zu können. Gesellschaften mit innerer Vielfalt an kulturellen Traditionen, an ökonomischen Optionen, an Bildungsinstitutionen verfügen dafür über ein größeres Potenzial. Gesellschaften, die Erfahrung und Erinnerung wertschätzen, bewahren sich Reaktionsmuster, die wieder relevant werden. Gesellschaften, deren soziale Institutionen flexibel und transparent sind und die Mechanismen für kreative, angepasste Problemlösungen fördern, können auf Schwierigkeiten schneller und ideenreicher reagieren.

Solche Vielfalt zu fördern, solche Institutionen zu pflegen, mag in den Optimierungskalkülen der Hochleistungsökonomie unter die Kategorie unproduktiver Luxus“ fallen. Doch für Unternehmen, wie auch für Gesellschaften gilt: Sobald anerkannt wird, dass die Zukunft nicht mehr als eine stabile Fortschreibung gegenwärtiger Trends gelten kann, ändert sich die Perspektive. Dann kommen Risikoabwägungen und Resilienzprinzipien zum Tragen.


Matthias Zeeb, Jhg. 1965, ist Volkswirt und war 1996/97 Stiftungskollegiat mit einem Projekt über die Reform der sozialen Sicherungssysteme in Estland. Er arbeitet als Berater und Gutachter zu den Themen soziale Sicherheit, Management sozialer Risiken und gesellschaftliche Resilienz.

April 18, 2008   #zeebaldone  


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